Rezension

Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
April 2006


Suche nach dem Zusammenhang
Reinhard Süss und seine Erste Symphonie

Er ist einer der beiden „Composers in residence“ im Saisonzyklus des Wiener Concert-Vereins: Reinhard Süss, Jahrgang 1961. Ähnlich wie Johannes Brahms hat er sich viel Zeit gelassen, um seine erste Symphonie zu schreiben. Nun aber ist es soweit. Am 30. April erlebt die „Erste“ von Reinhard Süss ihre Uraufführung im Wiener Musikverein.

Jeder Komponist hat so seine ideenfördernden Rituale, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben und Produktivität garantieren. Bei Reinhard Süss sind sie wohl mit den Begriffen Rhythmus und Regelmäßigkeit zu umschreiben: “Ich schreibe in der Früh, die ersten drei Stunden des Tages gehören dem Komponieren. Am Abend lege ich dann noch eine Schicht ein. Ich arbeite am liebsten täglich, deshalb ist es so schwer für mich, am Wochenende weg zu sein. Ich fahre am liebsten auf Reisen, da habe ich wirklich Ruhe. Wenn ich zu Hause bin, ist es für mich eigentlich nicht möglich, nichts zu tun.”

Ruhe und Abstand
Komponieren hängt bei Süss mit dem Klavier zusammen. “Ich improvisiere sehr viel, allerdings nicht konzertreif. Aber beim Improvisieren ergeben sich Themen, die ich zusammensetze, dann beginne ich die Dinge am Papier in Ruhe auszuarbeiten.”
Es gab eine Phase, da hat das Klavier dominiert. Das Spielen habe sich aber, so Mitte zwanzig, bei ihm in Richtung Komponieren verlagert. “Ich kann meine Stücke mühelos spielen, und das ist wichtig. Zum Schluß gehe ich die Stücke am Klavier durch, verschaffe mir ein Gesamtbild. Man steckt ja im Stück drin, hat keinen Abstand. Es ist wie beim eigenen Kind, man ist nie objektiv. Ich lasse mir aber viel Zeit beim Schreiben, kann so Abstand gewinnen.”

Vision und Reflexion
An seiner Ersten Symphonie hat Süss ein Jahr lang gearbeitet. Und ohne daß es sich um Programmmusik handelt, steht doch eine Idee dahinter, wie bei anderen Stücken. “Nach meinem Ersten Klavierkonzert mit dem Titel ,Fortuna Desperata‘, welches die Vergänglichkeit des Glücks zum Inhalt hat, und dem Zweiten Klavierkonzert, mit dem Titel ,Dodeka Imaginationes del Fortuna‘, welches das Schicksal und die eigenen Visionen davon zum Inhalt macht, geht es in der Symphonie um Wege, die sich kreuzen. Wie bei Personen, die einen Weg gemeinsam gehen, sich dann trennen und deren Wege sich irgendwann vielleicht wieder kreuzen. Es ist ein bißchen eine Reflexion über das eigene bisherige Leben.”

Die Symphonie besteht aus vier Sätzen, bei der Instrumentierung hat Süss Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Trompete, Horn, zwei Posaunen und Streicher gewählt. Ja, und ein Klavier ist auch dabei – “es wird Strawinsky-mäßig eingesetzt. Ich habe mir das erlaubt, weil es ein tolles Gefühl für mich ist mitzuspielen.” Das Stück dauert an die 30 Minuten und wird vom Wiener Concert-Verein uraufgeführt, mit dem Süss eine lange und produktive Partnerschaft verbindet. Er ist für das Ensemble heuer “Composer in residence”.

Tonales Grundgefüge
Süss, 1961 in Wien geboren, sieht sich nicht der Avantgarde zugehörig, er komponiert tonal: “Ich wollte nie etwas anderes. Meine Sprache basiert grundsätzlich auf tonalem Gefüge, wobei der Begriff ,tonal‘ für den Willen seht, über kleinmaschige Bewegungen große, auf bestimmte Zentren (in Form eines einzelnen Tones oder Tonraumes, eines markanten Motivs oder Rhythmus) gerichtete Zusammenhänge darzustellen und verständlich zu machen.”

Wer tonal komponiert, kann natürlich das Problem bekommen, sich plötzlich auf von anderen längst beschrittenen Wegen wiederzufinden. “Das Werk als gesamtes muß glücken, hat hoffentlich einen eigenständigen Charakter. Ob ich jetzt in einer Nebenstimme etwas habe, das vielleicht an Strawinsky erinnert, das kann ich nicht ausschließen. Bitter wäre es, wenn man sagen würde, das sei alles ein Plagiat – dann wäre es aus. Aber es ist doch auch so: Auch die Moderne ist mittlerweile ein Teil der Tradition. Wenn einer schwach komponiert, bleibt er übrig, egal in welchem Stil er schreibt.”

Verbindungen stiften
Süss fühlt sich irgendwie immer noch mitten in einer Entwicklung. Und das mag auch mit seinem Lehrer Kurt Schwertsik zusammenhängen: “Er meinte: ,Als Komponist braucht man mindestens 20 Jahre, bis man etwas Ordentliches zusammenbringt.‘ Da habe ich zunächst schon geschluckt. Aber mittlerweile verstehe ich es. Das hängt mit der Routine zusammen, damit, daß man erst langsam lernt, Zusammenhänge herzustellen und die Dinge innerhalb des Werkes so aufzubauen, daß alles irgendwie mit allem zusammenhängt. Von Schwertsik habe ich gelernt zu verstehen, wie die Klassiker komponiert haben. Er hat mir formale Dinge aufgezeigt. Wenn in einem Stück etwas kommt, das mit dem Vorherigen nichts zu tun hat, dann muß es später durch andere Zusammenhänge gerechtfertigt werden. Wie bei einer Rede: Wenn alle zwei Minuten etwas anderes auftritt, dann wird es langweilig. Alles in einem Stück sollte doch auf ein zwei Elemente zurückzuführen sein.”

Komponiertes Bauwerk
Süss lebt bei Wien, in einem Haus in Gablitz, und unterrichtet an der Musikschule Staatz-Kautendorf (Klavier und Komposition). Aber da ist noch etwas: Da entsteht auf dem Grundstück des Hauses ein Baptisterium aus vielen kleinen Steinen, Süss komponiert gewissermaßen ein Gebäude. Es wird siebeneckig, hat offene Fenster, eine Kuppel, und es kommt ein Fresko seiner Frau, der Künstlerin Gerlinde Thuma, hinein.

In der Nähe steht ein Tisch, zwölf Bäume sind rundherum, auch eine Feuerstelle. Es ist ein “Platz zum Genießen, ein Platz der geistigen Erneuerung”. Abseits davon wird auch ein Odeon errichtet: “Da kann man mit fünf bis acht Musikern etwas machen. Es wird wohl noch zehn Jahre dauern, ich wollte das bis zu meinem 50. Lebensjahr fertig haben, das wird sich nicht ausgehen.”
Schließlich muß noch einiges komponiert werden.

Ljubiša Tošic
Dr. Ljubiša Tošic ist Kulturredakteur und Musikkritiker der „Standard“ in Wien.